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Anna und ihr Koenig

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Sie stand allein auf dem Hof und sah sich immer wieder etwas suchend um, während sie wartete. Dann, endlich, erblickte sie ihn auf seinem Fahrrad, wie er auf dem Schulgelände ankam. Mit seinem typischen Grinsen hielt er direkt neben ihr und wünschte seiner langjährigen Schulfreundin einen guten Morgen, als er abstieg. Schnell war das Fahrrad abgestellt und angekettet, für sie bedeutete das, dass sie ihn nun zur Begrüßung umarmen konnte. Irgendwie war das ihr kleines Morgenritual geworden. Hand in Hand gingen sie über den Hof und betraten das Gebäude. Auch im Klassenraum saßen sie bereits seit der ersten Klassen zusammen und das hatte sich über die Jahre hinweg nicht geändert.

Für Anna war heute dennoch ein besonderer Tag. Nach der Schule wollte sie Toni fragen, ob er am Ende des Schuljahres mit ihr auf den Schulball gehen würde. Noch nie hatte sie das Ende der Stunden so sehr herbei gesehnt wie heute. Als am Nachmittag schließlich die Schulglocke ertönte, war sie direkt erleichtert. Schnell packte die Klasse ihre Sachen ein und verließ eilig die Schule. Toni nahm Anna auf seinem Fahrrad mit und sie fuhren in den nicht weit entfernten Stadtpark, so wie sie es schon oft getan hatten, und suchten sich dort ein etwas entlegeneres, ruhiges Plätzchen, an dem sie sich gemeinsam ins Gras legten um das schöne Wetter zu genießen. Es dauerte nicht lange, bis sich Anna an ihn kuschelte. Sie fühlte sich bei ihm einfach richtig wohl und vor allem sicher. Vor kurzem hatte sie erkannte, dass sie mehr für ihn übrig hatte, als nur freundschaftliche Gefühle. Einige Zeit war sie sich noch im Unklaren darüber gewesen, ob es wirklich Liebe war - immerhin hatte sie das noch nie zuvor gefühlt. Aber nun war sie sicher.

Dass Toni sie auch sehr gern hatte, wusste sie schon länger. Oft genug hatte er sie vor den Gemeinheiten anderer Jungen in der Klasse beschützt, ohne Rücksicht darauf, dass ihm dabei selbst etwas zustoßen könnte. Er hatte sie stets in den Arm genommen, wenn sie Angst gehabt hatte, und er hatte sie getröstet, wenn sie traurig gewesen war. Er war immer da gewesen, immer. Auch damals, als einer der anderen sich den Spaß erlaubt hatte, ihre langen schwarzen Haare mit Kleber zusammen zu kleben, hatte er sie verteidigt. Sie wusste es noch genau, sie war am Boden zerstört gewesen. Einzig Toni und dessen großer Bruder, der ihre Frisur dann noch gerettet hatte, hatten sie irgendwie trösten können. Aber das war lange her.

Schließlich fasste sie ihren Mut zusammen. Wenn sie nicht fragte, konnte sie immerhin auch keine Antwort erhalten. So drehte sie ihrem Freund den Kopf zu, betrachtete sein Gesicht noch einige Augenblicke. Dann aber schlug er seine Augen wieder auf, nachdem sie seine Hand eher unbewusst ein wenig gedrückt hatte.
"Ist alles in Ordnung?", erkundigte er sich mit einem leichten Anflug von Sorge in der Stimme.
"Ja!", antwortete sie ihm sogleich, fühlte sich dabei ziemlich ertappt und sah einen Moment verlegen zur Seite.
"Es ist nur so...", fing sie schließlich ein wenig unsicher an, "Ich hab da zwei Karten für den Schulball und ich würde gern mit dir dahin gehen. Wenn... du mein Begleiter sein möchtest, natürlich nur." Im ersten Moment wirkte Toni von dem Vorschlag überrascht, nickte dann aber wieder mit einem sachten Lächeln.
"Es wäre mir eine Ehre, Mylady...", nahm er die Einladung mit einem angedeuteten Handkuss an, nahm für kurze Zeit die Rolle eines Gentlemans ein, brachte Anna so zum Erröten. Sie wusste aber, dass er annahm, er solle sie nur als bester Freund begleiten. Das musste sie noch klar stellen!

"Toni... ich wünsche mir, dass wir als Paar dorthin gehen. Verstehst du?", versuchte sie es mit einem ernsten und eindringlichen Blick zu erklären, "Ich hab dich gern. Sehr gern." Einen Augenblick sahen sich die beiden nur wortlos an, bis Toni verstehend nickte.
"Ja...", erwiderte er zurückhaltend, wusste aber im ersten Moment nicht recht, was er dazu sagen sollte, "Du möchtest, dass wir zusammen sind." Anna nickte bestätigend, wartete geduldig auf eine Antwort, eine Reaktion. Doch sie wartete vergebens. Toni blickte nur recht angespannt und überfordert drein. In gewisser Weise war das schon ein Schlag für sie, aber eigentlich, so dachte sie in diesem Augenblick, hätte sie damit rechnen müssen.

"Ich... tut mir leid. Ich hab dich jetzt sicher ziemlich überrumpelt damit", versuchte sie die Situation etwas zu entschärfen, auch wenn man ihr noch gut anmerken konnte, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen konnte. Sie wollte schon wie ein Wasserfall weiter plappern - ganz so, wie sie es oft tat, wenn sie nervös war - doch Toni hielt sie auf, indem er einen Finger an ihren Mund legte. Jetzt gerade war er ihr so unglaublich nah, dass ihr beinahe das Herz stehen blieb. Es war nicht das erste Mal, dass sie so nah beieinander waren, aber dieses Mal war es irgendwie anders. Er sah sie so intensiv an und sie spürte deutlich, dass er zögerte und nach den richtigen Worten suchte. Das bedeutete auch, dass er nicht sofort etwas dagegen hatte, mit ihr zusammen zu sein. Und das wiederum machte ihr Hoffnung, auch wenn er ihr nicht gleich um den Hals fiel und sie küsste. Aber das, rief sie sich noch einmal ausdrücklich ins Gedächtnis, wäre wohl nur in ihren kühnsten Träumen der Fall gewesen.

"Anna...", begann er dann leise, wich ihrem Blick nun doch aus und ließ seinen Finger langsam wieder von ihren Lippen gleiten, "Hör zu... ich mag dich. Sehr. Und... ich glaube, dass ich sehr ähnlich wie du empfinde. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher." Ein verlegenes Lächeln folgte, das Anna sich gleich noch viel mehr in ihn verlieben ließ.
"Die Sache ist nur... ich hätte gern noch ein wenig Bedenkzeit bis morgen, wär das okay?", kam er schließlich zum Schluss seiner Antwort. Anna blinzelte ihn nun leicht verwirrt an.
"Aber natürlich!", gewährte sie ihm seine Bitte, "Warum sollte es das denn nicht?" Dass er sich darum nun wieder Gedanken gemacht hatte, bestärkte sie nur in ihrer Meinung, dass sie sich den richtigen Jungen heraus gesucht hatte.

"Eine Bitte hätte ich aber noch, ganz unabhängig davon, wie du dich entscheidest...", brachte sie kurz darauf noch vorsichtig, da sie nicht wusste, ob er ein Problem damit hätte, ein weiteres Anliegen ihrerseits vor, "Ich wusste schon als kleines Mädchen, dass ich meinen ersten Kuss auf jeden Fall mit meiner ersten großen Liebe habe möchte. Und das bist nun du..."
"Ich erinnere mich", erwiderte Toni leise, "Davon hast du mir mal erzählt, ist schon eine Weile her."
"Oh, hab ich das?", lachte sie etwas verlegen auf und sah weg. Etwas peinlich war ihr das jetzt schon. So breitete sich Stille zwischen ihnen aus und eine gefühlte Ewigkeit geschah nichts weiter, bis sie Tonis Hand und Arm auf ihrem Rücken spüren konnte. Im selben Moment, in dem sie zu ihm aufblickte, zog er sie an sich und umarmte sie. Sie ließ es geschehen und kuschelte sich etwas Trost suchend mit geschlossenen Augen an ihn. Sanft strich er ihr durch das dunkle Haar, bis sie kurz darauf einen Kuss auf ihrer Stirn spürte. Das war nicht das erste Mal, dass er das tat, dieses Gefühl war ihr nur allzu vertraut. Umso mehr blieb ihr das Herz für einen Moment stehen, als sie realisierte, dass der Kuss auf ihrem Mund fortgeführt werden sollte.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als sie einander küssten. So sehr hatte sie sich danach gesehnt, so oft hatte sie es sich ausgemalt, und doch konnte keine ihrer Vorstellungen auch nur im Geringsten mit der Realität mithalten. So war sie noch glücklicher, dass es nicht nur ein kurzer, flüchtiger Kuss war, den sie da gerade bekam. Nein, er hielt an, bis sie keine Luft mehr zur Verfügung hatte und allem dann doch jäh ein Ende setzen musste. Ohne ihm ins Gesicht sehen zu können, schmuste sie sich direkt wieder an ihn und konnte das Glück, das sie in diesem Augenblick verspürte, nicht in Worte fassen. Auch von Toni hörte man keinen Mucks, er strich ihr nur immer wieder leicht über die Schulter. Sie verbrachten noch einige Zeit miteinander, bis sie sich dann schließlich recht verlegen voneinander verabschiedeten und den Heimweg antraten.

Die Stunden vergingen und der Tag wich der Nacht, bis wieder ein neuer Morgen anbrach. Je näher der Zeitpunkt für ihr Wiedersehen an diesem Samstag rückte, desto aufgeregter wurde Anna. Sie wollten sich wieder im Park treffen und sie wurde am Eingang bereits von ihm und seinem Fahrrad erwartet, als sie ankam. Einmal mehr machte ihr Herz einen Luftsprung, als sie ihn erblickte. Er gab ein wunderschönes Bild ab mit den blonden Haaren, den Kopfhörern im Ohr und dem entspannten Gesicht. Sie ermahnte sich selbst, ruhig zu bleiben. Mehr als "Nein" sagen konnte er schließlich nicht, auch wenn sie natürlich immer noch hoffte, genau das würde er nicht tun. Im nächsten Moment hatte er sie auch schon entdeckt und hob die Hand zum Winken. So atmete sie noch einmal durch und schritt ruhig auf ihn zu. Sie begrüßten und umarmten einander, ehe sie sich wieder ein gemütliches Plätzchen suchten. Die ersten Worte und Sätze, die sie miteinander wechselten, waren eher belangloser Natur. Keiner von beiden getraute sich, dieses eine Thema so schnell anzuschneiden.

Als beinahe eine halbe Stunde vergangen war, fasste sich Toni schließlich ein Herz und räusperte sich kurz.
"Wegen gestern...", begann er selbst merklich unsicher, "Ich hätte dich gern als feste Freundin. Aber bevor wir ein Paar werden, musst du etwas sehr wichtiges wissen. Und dann musst du entscheiden, ob du das selbst immer noch willst." Im ersten Moment lösten seine Worte eine unglaubliche Freude in ihr aus, bevor sie ihn dann aber etwas verwirrt und besorgt ansah.
"Geht es darum, dass du ein Mädchen bist?", unterbrach sie ihn an dieser Stelle, als er weiter reden wollte. Die Überraschung stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben und die Farbe wich ihm aus  selbigem.
"Das weiß ich!", sprach sie eindringlich weiter, "Toni, das weiß ich schon längst..."
"Aber... woher?", flüsterte er noch immer ziemlich geschockt, nachdem er sie eine Weile sprachlos angestarrt hatte.
"Ich weiß nicht genau woher... Irgendwann war es mir einfach klar. Aber das liegt sicher nur daran, dass wir immer so viel Zeit miteinander verbracht haben, keine Angst.", versuchte sie ihn ein wenig zu beruhigen, denn er sah schon sehr alarmiert aus, "Du hast dich nicht mal irgendwann irgendwie verraten, mach dir darum bitte keine Gedanken." Toni nickte nur leicht, sagte aber immer noch nicht wirklich etwas dazu. Der Schock saß wohl doch recht tief. So zog sie ihn einfach zu sich und küsste ihn, erntete dafür einen ziemlich verwirrten Blick, als sie sich wieder von ihm gelöst hatte.
"Was?", grinste sie ihn daraufhin nur frech an, "Ich werd doch wohl noch meinen Freund küssen dürfen?" Kurz blinzelte Toni, ehe er dann aber auch leicht lächelnd nickte. Sie spürten beide, wie die Anspannung von ihm ab fiel und lagen sich kurz darauf in den Armen, küssten einander an diesem Nachmittag noch unzählige Male.

Als sie sich schließlich wieder auf den Weg machten, schob er sein Fahrrad gemütlich neben ihnen her, damit sie noch möglichst viel Zeit beieinander bleiben konnten.
"Jetzt bin ich aber doch neugierig!", brach Anna unvermittelt ein anderes Thema an, "Dein Name war doch sicher nicht von Anfang an Toni, oder...?"
"Nein...", bestätigte er ihre Vermutung mit einem scheuen Lächeln, "Toni ist im Prinzip die Abkürzung für Antonia."
"Das ist ein schöner Name", nickte Anna ihm mit einem weiteren Lächeln zu, "Aber Toni finde ich noch schöner."
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